Freitag, 3. August, 5 Uhr morgens im Zürcher Flughafengefängnis. Nach anstrengenden Gesprächen mit dem Staatssekretariat für Migration schlafe ich tief in meiner Zelle. Plötzlich öffnet sich die Tür, vier Polizeibeamte tauchen auf dem Nichts auf und sagen mir, dass sie mir auf der Polizeistation etwas mitteilen wollen. Es dauere nur fünf Minuten. „Kommen Sie mit?“ Mit verschlafenen Augen blicke ich sie an und versuche zu verstehen, was geschieht.
Drei Beamte zerren mich an den Armen auf die Beine und aus der Zelle heraus. Meine Arme sind bereits mit Handschellen auf dem Rücken fixiert, als sie mich zum Polizeiwagen ausserhalb des Gefängnisses führen. Panik schiesst durch meine Venen. Was kann um diese Uhrzeit so wichtig sein und doch nur fünf Minuten dauern? Mir ist klar, dass es nicht um ein kurzes Gespräch geht – das Flughafengefängnis ist ein Ausschaffungsgefängnis, in dem zahlreiche Geflüchtete auf den Tag ihrer Rückführung zurück in ihre Herkunftsländer warten.
Im Lift blicke ich den Einsatzleiter stumm an. Ich weiss, was in seinem Kopf vorgeht: Er wird versuchen, mich nach Marokko auszuschaffen. Wir gehen zum Wagen, ein Beamter geht zurück in meine Zelle, um meine Sachen zu holen, die sich in den vergangenen vier Monaten angesammelt haben. Wir sitzen nur wenige Minuten im Auto, das mich zum Flughafen bringen wird, doch ich beginne bereits, über meine Möglichkeiten des Widerstandes nachzudenken. Kein*e Pilot*in der Welt würde jemanden an Bord seines Flugzeuges akzeptieren, der*die keine Papiere hat und unter Zwang fliegen soll. So habe ich es jedenfalls gehört, besonders für Marokko.
Wir fahren zur Polizeistation am Flughafen. Sie bringen mich in irgendeine kleine Zelle, die mich an die Kaserne in Zürich erinnert, und fordern mich auf, mein Gesicht zu waschen und mit offener Tür die Toilette zu benutzen. Im Spiegel an der Wand sehe ich mein Gesicht und atme mit einem einzigen Gedanken tief durch: Sei stark! Als ich die Toilette verlasse, steht neben den vier Beamten auch ein Arzt, der in dieser dreckigen Aktion gegen die Freiheit für meine Sicherheit und Gesundheit sorgen soll. Nachdem er mir seinen Namen und Beruf nennt, fragt er mich, wie ich mich fühle. Ich sage zu ihm, dass ich unter enormem Stress stehe wegen dem, was in diesem Moment mit mir passiert. Drei Polizeibeamte stehen um uns herum und starren uns für fast eine halbe Stunde an. Dann spricht mich der Einsatzleiter an: „Wir haben von deiner Botschaft ein Laissez-Passer erhalten und werden dich heute nach Marokko ausschaffen. Wir haben die Erlaubnis, Gewalt gegen dich anzuwenden. Wenn du also kooperierst, wird es keine Probleme geben.” Ich habe an diesem Tag noch kein einziges Wort zu ihm gesagt, doch in diesem Moment explodiere ich. „Was willst du jetzt, dass ich dir sage? Ich will nicht zurück gehen! Bitte sprich nicht mit mir und lass mich in Ruhe.”

Während dieser halben Stunde, in der wir auf den ersten Flug warten, ziehen sie all meine Kleider von meinem schlaksigen Körper, um zu kontrollieren, ob ich irgendeine Massenvernichtungswaffe in meinem Hintern versteckt habe. Nach diesem Scan geben sie mir andere Kleider für den Flug, an denen auch ein Ledergürtel für meine Hände angebracht ist. An meine Gelenke legen sie zwei verschiedene Handschellen an, und in diesem Moment überwältigen mich die schlimmsten Panikgefühle. Einen Menschen so zu verpacken, als wäre er keiner!
Mit refugees, die einen negativen Asylentscheid erhalten haben, versucht das Staatssekretariat für Migration normalerweise zuerst einen “freiwilligen” Rückflug, wenn sie die Rückkehrhilfe ablehnen. Klappt dies nicht, steigern sie die Repression auf verschiedenen Levels (siehe Bild). In meinem Fall war ich ziemlich sicher, dass Marokko niemanden ohne Papiere akzeptieren würde, denn vor meiner Ausschaffung haben sich schon viele Piloten geweigert, unfreiwillige Passagiere mitzunehmen.
Nach dieser Prozedur bringen sie mich wieder in den Polizeiwagen und zum Flughafen. Auf der Anzeigetafel habe ich irgendeinen Hinweis für Marokko gesucht, ein Symbol, einen Satz, weil ich davon ausging, dass der Flug direkt in mein Land führt. Zu meiner Überraschung ging es zuerst nach Frankreich. Die AirFrance kooperiert in diesem Deal mit der Polizei und dem Staat, um mich von Zürich zum Flughafen Paris-Charles-de-Gaulle zu bringen. Das verstehe ich in diesem Moment noch nicht, die Gedanken kreisen in meinem Kopf. Sie können mich dort nicht akzeptieren! Nach zehn Minuten kommt die Crew mit dem Piloten in unsere Richtung. Der Einsatzleiter bewegt seinen Hintern aus dem Auto und beginnt ein Gespräch mit dem Piloten, sie gehen zusammen in die Flugzeugkabine und diskutieren dort lange über die weiteren Verläufe. Ich selber konnte nicht mit ihm sprechen. Dann gibt der Einsatzleiter seinen Schergen das Kommando, mich nach oben zu bringen. Mein Herz beginnt zu hämmern. Ich will selber mit dem Piloten sprechen, doch als mich drei Beamte mit extremer Gewalt ins Flugzeug zwingen, sehe ich ihn zuerst nirgends. Dann entdecke ich ihn zusammen mit dem Co-Piloten in der Kabine; sie tun so, als ob nichts wäre. Ich beginne zu schreien: „Ich will nicht zurück, wie können Sie das auf Ihrem Flug tolerieren?!“ Er dreht nur seinen Kopf in meine Richtung und blickt mich desinteressiert an.
Sie bringen mich zum letzten Sitzplatz, links und rechts sitzt je ein Polizist, hinter mir der Einsatzleiter mit dem Arzt. Ich bereite mich innerlich darauf vor, Krawall zu machen, wenn die anderen Passagiere boarden; es war ein normaler Linienflug, was ich erst nach etwa 20 Minuten realisiert habe. Allmählich nimmt eine*r nach dem*der anderen Platz.
In diesem ruhigen Moment kurz vor Abflug stehe ich abrupt auf und versuche, alle auf mich aufmerksam zu machen. Ich beginne zu schreien und zu schimpfen, auf Französisch, Englisch und Arabisch, um alle darüber zu informieren, was hier gerade vor sich geht. Ich sage, dass ich ein refugee bin und nicht in diesem Flugzeug sein will, dass ich nicht nach Marokko ausgeschafft werden will… Kaum 20 Sekunden vergehen, dann spüre ich die Hände der Polizisten an meinem Körper und vor allem in meinem Nacken. Mit Gewalt drücken sie meinen Kopf zwischen meine Beine – und während alldem sagt kein Passagier auch nur ein Wort! Meine Wirbelsäule schmerzt unter diesem Druck der drei Polizisten. Und es funktioniert… Ich kann nicht mehr aufstehen. Als ich es nochmals versuche, spüre ich einen brennenden Schmerz in meinem Rücken.
Als der Pilot die Fluginformationen durchgibt, merke ich, dass der Flug ab Zürich erst der Anfang ist. Es geht nach Paris, nicht nach Marokko. Irgendwie spürte ich Erleichterung. Normalerweise zeigen sie den Migrant*innen vor der Ausschaffung alle Dokumente, die sie über Abflugzeit, Ankunftsort, Fluggesellschaft etc. informieren. Mir haben sie nichts gezeigt, nicht mal das Laissez-Passer.
Der Flieger startet und ist eine Stunde in der Luft, bis wir in Paris ankommen. Mein Rücken brennt höllisch. Als der Arzt mich fragt, ob alles in Ordnung sei, verneine ich und fluche. Er fragt, ob ich ein Schmerzmittel nehmen will. Doch weil ich Angst hatte, irgendein Medikament von ihm zu nehmen, weil es mich betäuben und meinen Plan an diesem schrecklichen Tag gefährden könnte, lehne ich ab. Ich denke über Paris nach. Letztes Jahr wurden von dort mindestens 40 Migrant*innen nach Marokko und Algerien ausgeschafft. Ich weiss, dass ich irgendetwas tun muss, um den nächsten Flug zu stoppen. Es ist meine letzte Chance.

Fortsetzung folgt…

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50 Flugminuten liegen zwischen Zürich und Paris. Da der Krawall im Flugzeug nichts gebracht hat, denke ich darüber nach, von der Rampe zu springen, wenn sie mich auf den nächsten Flieger bringen wollen. Wegen der starken Schmerzen in meinem Rücken versuche ich, mich selbst zu halten. Als der Flieger in Paris landet und alle Passagiere aussteigen, bringen sie mich in einen französischen Polizeiwagen, in dem auch ein Beamter des Flughafens Charles-de-Gaulle sitzt. Die Armee an Schweizer Polizisten ist hinter mir und nimmt mich an meinen Armen zur Polizeistation. gehen an all den Passagieren vorbei, alle sehen mich an, als wäre ich gefährlich, mit den Handschellen und all den Uniformierten um mich herum… Bei der Passkontrolle und dem Sicherheitscheck fühle ich mich fast wie ein VIP-refugee.
Viele Tore und Türen öffnen sich, bis wir in einem kleinen Warteraum in der Polizeistation ankommen. Hier sehe ich auch andere refugees aus Marokko, die mit verängstigten Gesichtern auf uns warten. Mit dem bisschen Englisch, das ich kann, verstehe ich das Gespräch der drei schwedischen Polizisten mit den Schweizer Beamten. Sie machen erst Witze über die Ähnlichkeit der Namen ihrer Länder und darüber, wie oft man sie verwechselt – das absurdeste und dümmste, was man in einer solchen Situation hören will. Dann sprechen sie über eine Strategie, um ihren Plan umzusetzen: Jemand solle wieder mit dem Piloten sprechen. Jemand aus dem französischen Korps nimmt diese Aufgabe auf sich, zwischen dem Piloten und der schwedischen, norwegischen und schweizerischen Polizei zu vermitteln. Sie sagen sogar, dass es dieses Mal besser laufe als sonst. „Wenn etwas schiefläuft, haben wir den Arzt aus Zürich! Das werde ich dem Piloten erklären, macht euch also keine Sorgen“, höre ich eine Polizeibeamte sagen.
Sie sprechen lange weiter, sicher während zwei Stunden, ich versuche mehrmals, zur Toilette zu gehen, einfach um aufzustehen und zu schauen, ob ich irgendeinen Gegenstand finde, mit dem ich mir so schaden könnte, dass ich ins Spital gehen muss. Doch da ist nichts. Die Polizeibeamten stehen immer noch hinter mir, überall, und fragen mich, ob ich für den Toilettengang irgendetwas brauche, doch ich lehne ab und sage ihnen, dass sie sich die Medikamente in ihren Hintern stecken können. Der Arzt erklärt mir, dass ich wegen der Panik nicht auf die Toilette gehen kann, und öffnet den Wasserhahn ein wenig, damit ich mich entspannen kann.
Irgendwann beenden die Beamten ihre Diskussionen mit der Frage, in welchem Hotel sie in Marokko bleiben, bis sie zum Rückflug antreten. Ich denke darüber nach, was geschieht, wenn dieser Flug erfolgreich sein sollte. Wie sieht dort meine Zukunft aus? Ich spüre Traurigkeit und Wut, und je länger ich darüber nachdenke, desto mehr will ich Widerstand zeigen. Ich muss irgendetwas tun!
Gegen 12 Uhr kommt die französische Polizei zurück und sagt allen, dass sie beginnen können, uns zum Flugzeug zu bringen. Die schwedischen Beamten beginnen damit, ihre Opfer an den Armen nach draussen zu ziehen, darauf folgen die Schweizer Beamten. Ich frage nach einer Zigarette, doch dafür sei keine Zeit. Wir gehen den ganzen Weg zurück, wieder vorbei an den Passagieren, die uns anstarren. Ich beginne auf Französisch auszurufen: „Keine Sorge, wir sind nur Geflüchtete!” Die Beamten herrschen mich an, ich solle ruhig sein.
Wir gehen zurück zum Polizeiauto und fahren zum Flugzeug. Dieses Mal kann der Einsatzleiter sitzen bleiben – die französische Polizei übernimmt die Verhandlungen mit der Crew und später auch die Platzierung der refugees in der Maschine. Sicher 15 Minuten diskutieren sie, dann geben sie das Signal, uns durch den hinteren Eingang zu bringen. Mein Blick ist auf die Rampe fixiert, und ich versuche den besten Moment zu finden, um abzuspringen. Das Auto rollt in Richtung der Flugzeugtür, sie beginnen erst mit den anderen, bevor sie versuchen, auch mich in den Flieger zu bringen. Ich war als einziger in Handschellen gelegt. Die Polizisten öffnen die Tür, die französischen Beamten warten oben auf der Rampe mit einem Steward der Air France. Langsam bewege ich mich nach oben, die Rampe ist in einen braunen Tunnel gehüllt, weshalb ich versuche, den Raum zwischen Rampe und Tür zu nutzen, um abzuspringen. Als wir diesen Punkt erreichen, stosse ich den Polizisten zu meiner Rechten zur Seite. Er bewegt sich fast wie ein Sack voll Sand und kippt fast um. Doch sie sind vorbereitet und drücken mich gemeinsam zurück auf den Weg, mein Rücken schmerzt wieder furchtbar. Ich beginne zu toben, den Steward anzuschreien, dass ich mit den Piloten sprechen muss! Doch es geschieht nichts, sie zwingen mich zu meinem Sitzplatz. Die anderen refugees blicken mich fragend an: Warum trägt dieser Mann Handschellen? Ich begrüsse sie in marokkanischem Dialekt und nehme wieder zwischen den zwei Schweizer Polizisten Platz. Und warte.
Manchmal spreche ich nochmals den Steward an und verlange, mit dem Piloten sprechen zu können, doch er ignoriert mich. Ich blicke in die Gesichter der anderen refugees und sehe die Panik in ihren Augen. Niemand hätte damit gerechnet, auf diese Weise ausgeschafft zu werden. Wie wird unsere Zukunft sein, wenn wir dort sind – nach all dem, was wir durchgestanden haben, bis wir endlich in Europa angekommen sind!
Während der 20 Minuten, die wir stumm da sitzen, beäugen mich die Polizisten besonders aufmerksam. Tröpfchenweise kommen auch die anderen Passagiere an Bord und verstauen ihre Koffer. Manchmal brauchen sie die Toilette im hinteren Teil des Flugzeugs, ganz in meiner Nähe, und alle frage ich immer wieder, ob sie den Piloten für mich verlangen können, weil ich nicht nach Marokko ausgeschafft werden will. Doch die Reaktion der Polizei kommt schnell, sie halten mich an, den Mund zu halten und drohen mir, meinen Kopf wieder zwischen meine Beine zu drücken. Der Einsatzleiter informiert derweil die Passagiere, dass der Pilot bereits Bescheid wisse und sie nicht auf mich hören müssen. Da ich erkenne, dass es keine Chance gibt, dass der Pilot zu mir kommt, beginne ich wieder zu schreien, mit all der Energie, die mir noch bleibt. „Jemand muss uns helfen, bitte! Wir wollen nicht nach Marokko! Das…“ Dann springt die Polizei wieder auf mich und drückt meinen Kopf hinunter. Mich ergreift die Verzweiflung. Niemand, wirklich niemand fragt auch nur danach, was mit uns geschieht, die Leute flüstern nur miteinander. Das ist nichts Neues, ich sehe, dass die meisten von ihnen nicht wissen, was sie tun könnten. Oder sie denken wegen der Handschellen und Polizisten, dass ich ein gefährlicher Krimineller, ein Terrorist bin.

In dieser Position muss ich verharren, bis die Maschine in der Luft ist, darf mich nicht bewegen oder sprechen, ich spüre nur diesen Schmerz, mein Atem stockt. Mein Körper ist wie eingefroren. Ich sage zu mir, that’s it. Ich werde ausgeschafft. Was geschieht, wenn ich in Casablanca lande? Wie wird meine Familie reagieren, meine Freunde, wenn sie mich dort wiedersehen? Ich gebe auf, wüsste nicht, was ich noch tun könnte. Manchmal wandert mein Blick zu den anderen Opfern dieses Flugs, sie sind verzweifelt und verängstigt.
Nach zwei Stunden zückt der Einsatzleiter seinen Laptop und beginnt, jedes Detail dieser widerlichen Aktion zu protokollieren. Bevor wir am Flughafen Mohamed V in Casablanca ankommen, kommt er zu mir und gibt mir Dokumente, auf denen steht, was man mir alles mitgegeben hat. Ich solle sie unterschreiben, doch ich weigere mich, weil ich zunächst einmal nicht weiss, was dort genau geschrieben steht. Vor allem aber, weil es keine Rolle spielt, ob sie meine Bestätigung haben oder nicht. Eine halbe Stunde vor der Landung überreicht er mir ein letztes Papier: ein Verbot für den gesamten Schengenraum bis 2020. Dann nimmt er mir meine Handschellen ab, ich spüre, wie anders sich mein Körper wieder anfühlt. Dann gebe ich den schläfrigen Beamten neben mir einen Klaps ins Gesicht, mache zum ersten Mal einen Witz: “Nicht schlafen! Wir sind noch nicht angekommen.“
Nach zehn Minuten erblicke ich die rote Erde meines Landes, zum ersten Mal in vier Jahren. Der Horror, der im Ausschaffungsknast in Zürich begann – er ist real. Ich kann es nicht glauben, kneife mich immer wieder in der Hoffnung, aus diesem Alptraum aufzuwachen. Je mehr sich der Flieger dem Land nähert, desto mehr denke ich darüber nach, was ich hier tue. Ich habe immer noch nicht wirklich verstanden, was hier mit mir geschieht, bin traurig und wütend und bekomme keine Luft und bin doch noch am Leben und bereit dazu, meine Würde zu rächen, diese Würde, die von der Schweizer Polizei und von Air France und überhaupt von all diesen Faktoren dieses Verbrechens zerstört wurde.
Endlich landen wir in Casablanca, die anderen Passagiere verlassen das Flugzeug, mich nehmen sie durch die Vordertür heraus. Ich setze mich zur Wehr, sage ihnen wieder und wieder, dass ich wenigstens durch die Hintertür hinaus will, durch die ich in Paris gekommen bin. Natürlich sehen sie, dass ich alles Mögliche versuche, um nicht in die Hände der marokkanischen Polizei zu fallen. Sie zwingen mich durch die Vordertür, und als ich endlich am Piloten vorbeikomme, frage ich ihn, wie er all das tolerieren konnte. Er erwidert nur, dass es ihm egal sei. Ich werde wütend und spucke ihm ins Gesicht – sein Glück, dass mein Mund von dieser Tortur so trocken ist. Die marokkanische Polizei fordert mich auf, runterzukommen. Es sei vorbei. Mach es nicht schlimmer.
Sie nehmen uns auf, anders als früher, als sie Passagiere ohne Papiere nicht akzeptiert haben. Vielleicht haben sie einen neuen Vertrag mit der EU ausgearbeitet, das verstehe ich wenigstens aus den Gesprächen der Polizisten. Ein Vertrag, der die marokkanischen Behörden dazu bringt, nicht dokumentierte Geflüchtete mit irgendeinem Laissez-Passer anzunehmen. Ich sage zu mir: Das ist nicht gut.
Ich warte in einem Verhörungsraum am Flughafen und werde während sechs Stunden ausgequetscht, jedes einzelne Detail über mein Verbleiben in den letzten vier Jahren ausserhalb Marokko muss ich preisgeben. Wo habe ich gelebt? Was habe ich gemacht? Wie war mein Asylverfahren in der Schweiz? Was für eine Aktion war das? Diese letzte Frage verängstigt mich besonders, meine Kleider sind schweissgetränkt. Ich kann an dieser Stelle nicht darüber sprechen, aber jede*r kann meine treuen Freund*innen in Zürich fragen, was geschehen ist.
Während dieser sechs Stunden sehe ich immer mehr refugees, die aus dem gesamten EU-Raum ausgeschafft wurden; alleine 20 an der Zahl waren es während meiner Befragung. Später werde ich sie draussen wiedersehen, mit ihren Laissez-Passers in den Händen, die als temporäre ID gelten, bis wir wieder marokkanische Papiere haben. Jemand von ihnen sagt mir, dass er sofort zurück nach Tanger im Norden des Landes fährt, um ein Boot in Richtung Spanien zu finden. Er kann nicht zu seiner Familie zurück; seine Eltern sind gestorben, als er noch jung war.
Andere sitzen nur da und rauchen, soviel sie können, bis in den Morgen hinein, immer noch schockiert von dem, was sie in den letzten 24 Stunden durchgemacht haben. Auch ich konnte mich nicht bewegen, bis ich einmal übersetzt habe, dass dieser Alptraum jetzt Realität ist. Mit einigen Münzen in meiner Tasche rufe ich meine Mutter für zehn Sekunden an. Ich fahre zu ihnen, zurück zu meinen Eltern und meiner Schwester, um sie so unverhofft wiederzusehen, mit nichts an meinem Körper ausser Schmerzen und einer traurigen Seele. „Es tut mir Leid, Mutter, ich konnte meine Träume nicht verwirklichen, meine Freiheit nicht leben. Ich habe alles versucht, aber sie haben mich nicht in Frieden gelassen.“ Wir beginnen beide zu weinen. Später rufe ich meine Freundin in der Schweiz mit dem Handy meiner Schwester an, sage ihr, dass ich ausgeschafft wurde. Ich konnte nicht aufhören zu weinen beim Gedanken daran, wie es ihr mit diesem Wissen geht. Ich suche nach Worten, um meine Gefühle auszudrücken, doch ich finde sie kaum.
Das letzte, was ich an dieser Stelle sagen will, ist folgendes. Diese Gewalt gegen meine Bewegungsfreiheit wird mich nicht davon abhalten, es wieder zu versuchen. Die Welt ist gross, und ich werde sie entdecken. Wenn die Grenzen und Nationalstaaten es einigen Menschen verunmöglichen, legal zu reisen… dann werden dieselben Menschen andere Wege finden, illegal zu reisen.
NO BORDERS, NO NATIONS – STOP DEPORTATION!

Übersetzung aus dem Englischen: Rosa la Manishe