Stellungsnahme eines Individuum des anarchistischen InfoLora am Freitag
Es ist schön, dass ihr unsere wöchentliche anarchistische InfoSendung wertschätzt, dies gibt mir Energie und Kraft, die Sendung auch weiterhin voranzutreiben. Es kommt selten ein Feedback von ausserhalb zurück, jedoch ist dies sehr wünschenswert. Doch grösste Beweggrund warum ich das anarchistische InfoLora am Freitag mache, ist an erster Stelle für mich selbst. Es ist mir wichtig, anarchistische Ideen, Projekte und Interventionen zu erörtern und verbreiten und dafür sehe ich das Radio als ein geeignetes Werkzeug. Und die Auseinandersetzung innerhalb des anarchistischen Radio-Kollektivs ist auch sehr wertvoll. Umso schöner ist es natürlich, ein Feedback zu bekommen, welches eine Debatte in Gang setzt. Auch wenn es mir scheint, dass dies eine Debatte ist, welche nicht zum ersten Mal geführt wird, aber dazu später im Text. Ich hoffe natürlich, dass wir in Zukunft auch weitere Debatten auslösen, denn dies geschieht viel zu wenig. (hier klicken um weiter zu lesen)
Der Beitrag vom Päfzger hat eine solche Debatte ausgelöst und meiner Meinung nach ist die Kritik daran sehr berechtigt. Sich über anarchistische Gefangene oder im allgemeinen über Gefangene lustig zu machen ist zutiefst unsolidarisch. Diesem Kritikpunkt schliesse ich mich an. Trotzdem erachte ich es nicht als falsch oder verwerflich diesen Beitrag vom Päfzger ausgestrahlt zu haben. Auch nicht als anarchistisches Radio, obwohl, je nach Interpretation und Sichtweise, sich der Päfzger über anarchistische Gefangene lustig macht. Über Projekte zu berichten, welche nicht die gleiche Ideologie vertreten, sich aber im revolutionären Kampf gegen den Kapitalismus verordnen, kann eine Auseinandersetzung auslösen, welche ich als wichtig erachte.
Zu der Paarung von Satire, Ironie und ausgearbeiteten, gezielten Kritiken
Der Päfzger vertont ein patriotisches Lobgedicht für das „grosse Germania“, wie es in ihrem Beitrag zu hören ist. „…auf eure strammen Waden sei gezählt, ihr wackeren deutschen Burschen steht bereit, erringet Brüder, euch ist es geweiht was unserem armen Herzen fehlt“ usw.
Da versteht mensch ja, dass dies Ironie ist und wir wissen, dass der Päfzger nicht die Ideologie des Nationalismus vertritt. Da der Päfzger ja auch zum Teil ernsthafte Kritik veröffentlicht, fernab von ihren poetischen Ergüssen, kann mensch ja nicht alles einfach als „eine Geschichte“ oder Ironie abtun, vor allem wenn mensch sich auch mit dem Thema Knast und der damit verbundenen Ängsten auseinandersetzt. Aussagen wie „Dir kommt jedoch das grosse Glück zu, als Märtyrer des anarchistischen Aufstandes, als Kämpfer für Freiheit und Herrschaftslosigkeit in die Annalen einer kleinen, langweiligen Stadt Mitteleuropas einzugehen“ werden klar nicht einfach als Ironie abgetan.
Daraus kann schnell die Schlussfolgerung gezogen werden, dass ihr euch lustig macht und unsolidarisch gegenüber anarchistischen Gefangenen seid. Was der Päfzger wirklich sagen will, ist eine „Kritik der Romantisierung und Propagierung bestimmter Formen der Praxis innerhalb anarchistischer Kreise.“ Es ist durchaus angebracht, Formen der Praxis zu kritisieren, die grosse Frage ist nur wie? Es ist nicht mein Ansatz, solche Aussagen zu machen, wie von Glück zu Reden, als Märtyrer des anarchistischen Aufstandes einzugehen, wie auch nicht Märtyrer ins Leben zu rufen. Jedoch provoziert diese Aussage Reaktionen, was auch vom Päfzger so gewollt ist. Die nun ernsthaftere und ausführlichere Antwort auf die Kritik hat mich sehr erfreut, auch wenn ich einiges als Behauptungen und Unterstellungen erachte, sowie viele Dinge anders sehe. Leider nimmt der Päfzger keine Stellung zu ihrer Aussage, dass der sogenannte Märtyrer „mental so festgefahren ist, dass auch die Hilfe von Professionellen nichts mehr bringt». Was wollt ihr damit ansprechen? Dass Menschen, welche die Infrastruktur der Herrschenden in die Luft sprengen wollen, professionelle Hilfe gebrauchen? Was dann Hand in Hand mit der staatlichen Repression einher geht, welche seit längerem versucht, feindschaftliche Ideologien als psychisch krank abzustempeln, um die jeweiligen in der Psychiatrie zu verwahren.
Propaganda, Radikalität und deren Hierarchisierung
Die Kritik vom Päfzger richtet sich also an die „Romantisierung und Propagierung bestimmter Formen der Praxis“. Vielleicht mag dies so scheinen, wenn ihr z.B. die Zeitschrift Dissonanz als Sprachrohr einer einheitlichen anarchistischen Szene sieht. Oft wird die direkte Aktion als eine Schlussfolgerung ihrer Analysen propagiert und auch gerne über solche Interventionen berichtet. Doch die Dissonanz repräsentiert Ideen und Analysen der einzelnen Individuen, welche bei der Dissonanz tätig sind. Dies wird immer wieder vergessen und Menschen, welche sich in Zürich in anarchistischen Kreisen bewegen, werden fälschlicherweise oft als eine homogene Gruppe betrachtet. Allerdings gibt es verschiedenste Formen der Praxis innerhalb anarchistischen Kreisen. Die direkte Solidarität mit Gefangenen und Illegalisierten, das Thematisieren und Bekämpfen von Hierarchien untereinander, gegenseitige Hilfe und so weiter. Für mich sind dies Formen der Praxis, welche ich als genauso wichtig erachte wie die direkte Aktion. Es gibt hierbei für mich keine Hierarchisierung, vielleicht einen individuellen Fokus, was aber noch lange nicht heisst, dass dieser eigene Fokus der einzig Wahre ist. Zudem erachte ich all diese Formen der Praxis als einen wertvollen Beitrag im Kampf für die Freiheit, für eine Welt ohne Unterdrückung und Machtstrukturen.
Weiter sagt der Päfzger, dass „viel zu oft die Radikalität einer Aktion, ausschließlich am Grad der Zerstörung oder an der angewandten Gewalt gemessen“wird. Durchaus kann eine solche Dynamik aufkommen, jedoch sollte und wird dies auch immer wieder kritisiert und hinterfragt. Diese Kritik finde ich durchaus berechtigt, doch meine Beweggründe sind anders. Mir geht es darum, was ich mit einer Aktion will und was sie bewirkt, scheissegal was der Grad der Zerstörung oder der angewandten Gewalt ist. 10 Bullenkarren, die brennen sind natürlich schöner als nur einer, was aber nicht heisst, dass die Aktion radikaler ist, denn die Aktion bleibt die gleiche. Und ob die Bullenkarre brennt oder mittels Zucker im Tank zerstört wird kommt nicht so drauf an, denn die Nachricht an die Bullen ist dieselbe.
Vom Rest der Gesellschaft abgesonderte Wesen
Zitat vom Päfzger: „Das selbstreferenzielle Bild der Anarchist*innen, als vom Rest der Gesellschaft abgesonderten Wesen, die in der Illusion baden, radikal und anders zu sein, entspricht aus unserer Sicht einer Form der Trennung, die mit der Logik des Spektakels einhergeht“
Durchaus sind „wir“ Anarchist*innen radikal und anders, was soll daran verwerflich sein? Anders zu sein, heisst für mich, sich Tag für Tag kritisch mit sich selbst, den Mitmenschen und der Gesellschaft auseinanderzusetzen. Ich kämpfe gegen die Lebensweise der jetzigen Gesellschaft, also will ich die Werte, welche ich verachte, nicht reproduzieren. Nein, ich will anders sein, trotzdem bin ich in dieser Gesellschaft sozialisiert. Zum Teil sondere ich mich vom Grossteil der Gesellschaft ab, hab ja kein Bock diese scheisse Tag für Tag mitzumachen. Trotzdem bin ich gezwungen, einen Teil mitzumachen und in diesen Momenten sehe ich mich nicht als abgesondertes Wesen, sondern sehe ich auch immer wieder Gemeinsamkeiten mit – wie ihr es nennt – von „uns“ Anarchist*innen abgesonderten Menschen.“ Und das Spektakel ist doch diese Gesellschaft, ein Schauspiel wird durchgeführt von morgens bis abends, freundlich sein, lachen, Anstand und Respekt vor den Chef*innen zeigen, nicht aufmucken usw.
Der Gefrierschrank und die Geschichte der Belehrung
Wer weiss schon wie die Revolution zu machen ist, ausser die kommunistischen Gruppen und Organisationen, welche immer noch ihren alten Konzepten nachrennen oder sich im Gefrierschrank befinden bis eine breitere Masse das Bewusstsein erlangt hat. Nie würde ich behaupten, wie auch die meisten Anarchist*innen, zu wissen wie die Revolution zu machen ist. Ist mir auch egal, ich weiss, was mich und viele andere Menschen unterdrückt und das will ich bekämpfen. Was heisst schon Revolution? Ein grosses Wort worauf wir warten, anstatt im Hier und Jetzt die eigene persönliche Revolution zu starten. Bei den alltäglichen Dingen ansetzen und Sexismus, Vorurteile, Hierarchien, Rollenbilder und all das zu bekämpfen. Doch der Päfzger meint, wir müssen auf eine erhöhte und verallgemeinerte soziale Konfliktualität warten. Doch an was messt ihr eine erhöhte und verallgemeinerte soziale Konfliktualität? Nur weil ein Grossteil in der Schweiz befriedet ist, heisst es noch lange nicht, dass es keine sozialen Spannungen gibt. Die tausenden von Konflikten welche existieren, werden durch produzierte Bedürfnisse nach Waren und Dienstleistungen wegkonsumiert, sie werden mittels Medikamenten, Alkohol und Drogen betäubt oder einfach isoliert und weggesperrt. Die Feindschaften sind nicht mehr so einfach sichtbar, doch sie existieren. Texte, Lieder, Geschichten sowie direkte Aktionen können sie zum Vorschein bringen oder andere dazu ermutigen, ihrer individuellen Wut einen Ausdruck zu geben. Und scheisse nochmals, von welcher Geschichte sprecht ihr? Wieso soll die direkte Aktion nur dann angebracht sein, wenn eine breitere Masse dahinter steht? Diese Logik spricht die Autonomie ab und du unterordnest dich einer breiteren Masse, was definitiv nicht anarchistischen Ideen entspricht. Hier liegt wohl ein Unterschied zu kommunistischen Strömungen…
Ihr schreibt, dass „in diesen Zeiten nicht vom Kampf abzusehen“ ist und propagiert neue Wege und Formen. Doch was sind das für neue Wege und Formen? Natürlich ist es wichtig sich neue mögliche Wege und Formen auszudenken, aber die anarchistischen Grundpfeiler (ohne Herrschaft und Hierarchien, selbstbestimmt und antiautoritär) dieser Wege und Formen, bleiben für mich bestehen. Und wie bitteschön soll die Tat vom Wort getrennt werden? Hinter jeder Tat stehen Gedankengänge und Worte, sowie hinter jedem Wort auch Taten stehen sollten und da meine ich nicht nur die direkte militante Aktion.
Hallo allerseits
Es ist schön, zu sehen, dass die Diskussion weiter geht und grundsätzlich erfreulich, dass unsere Texte Menschen anregen, selber in die Tasten zu greifen. Danke dafür! Was aber weniger schön ist, ist das Gefühl, trotz reger Bemühungen nicht verstanden zu werden, sich gedrängt fühlen, sich selber wiederholen zu müssen oder in paternalistischer oder lehrerhafter Weise Grundlagen der sozialrevolutionären Theorie und Geschichte zu predigen. Dementsprechend hatten wir auch einige Mühe mit der „Stellungsnahme eines Individuums der InfoLoRa Redaktion“. Die Auseinandersetzung an sich wird zwar gelobt, und sie „soll weitergehen“, doch wird aus unserer vorhergehenden Replik kaum etwas verstanden, die Vorwürfe werden ohne jegliche Argumentation repetiert, und mit dem ganzen Unverständnis wird auch noch kokettiert. Kann so wirklich diskutiert werden?
Die Stellungnahme des Individuums des Info LoRa Am Freitag diskreditiert sich in diesem Sinne eigentlich selbst. Denn neben den nicht verstandenen Argumenten unserer ersten Replik, werden eine Menge Unterstellungen verbreitet, anstatt argumentiert. So behauptet der/die Verfasser*in, dass der Päfzger nicht zu einem anarchistischen Spektrum gehöre, dass der Päfzger die Dissonanz als Sprachrohr der gesamten anarchistischen Szene betrachte oder dass der Päfzger anstatt im Hier und Jetzt zu handeln und Sexismus, Rassismus und sonstige Unterdrückungsmechanismen im Alltag zu bekämpfen, auf das Bewusstsein einer Masse warte. Um dieses Märchen zu krönen, wird uns noch unterstellt, psychiatrische Repressionsmechanismen kämpfender Anarchist*innen zu befürworten. Chapeau! Der Päfgzer und Frank Urbaniok stecken eigentlich unter einer Decke!
Wir der anarchistischen Zeitung „De Päfzger“ hätten gerne über wichtigere Sachen diskutiert, wie z.B., was für Möglichkeiten die anarchistischen Szene hat, um ihre eigenen Szeneschranken zu durchbrechen, als uns anhören zu müssen wie anarchistisch und anders das Info-LoRa am Freitag Individuum doch ist. So ist es gleichzeitig beeindruckend und beängstigend, wie sich eine angehende Debatte über mögliche oder sinnvolle Praxen einer sozialrevolutionären, anti-autoritären Szene, in eine Grundsatzdebatte theoretischer Fragen und Auseinandersetzungen verwandelt. Beim Satz „Was heißt schon Revolution? Ein großes Wort worauf wir warten, anstatt im Hier und Jetzt die eigene persönliche Revolution zu starten.“ haben wir uns verwundert die Augen gerieben. Wir Fragen uns, ob wir all die letzten Jahre geschlafen haben, denn wir wussten nicht, dass einzelne Anarchist*innen das Projekt einer sozialen Revolution bereits aufgegeben haben, um es durch eine „persönliche Revolution“ zu ersetzen. Wenn dieses anarchistische Individuum durch persönliche Einstellungen und Werte die Gesellschaft verändern möchte, hoffen wir, dass es zumindest ordentlich Bio-Produkte einkauft. (Achtung Ironie).
Aus unserer Sicht hat die Revolution durch die Zerstörung der bestehenden Herrschaftsverhältnisse, der Warenlogik und der kapitalistischen Produktionsweise neue Verhältnisse zu schaffen, in welchen Ideen, wie ein „herrschaftsloses Zusammenleben“ und andere Träumereien, erst konkret angedacht werden können. Wir können nicht wissen, wie wir sie herbeiführen, aber wir könnten uns darüber schlau machen, wie sie ganz bestimmt nicht geschehen wird. Die Revolution ist nicht in erster Linie ein Akt von Gewalt, die Revolution beschreibt den Umschwung im Zusammenleben der Menschen, hin zu einer solidarischen Gesellschaft. Die Revolution ist nichts statisches, sie ist ein Prozess, in welchem die Mehrheit der Menschen begreift, dass sie, die Ausgebeuteten im kapitalistischen Weltsystem, die Kraft besitzen, um ihr Leben in allen Bereichen selbstbestimmt zu gestalten.
Uns geht es nicht darum, uns selbst als möglichst revolutionär wahrzunehmen oder darzustellen, und ganz ehrlich gesagt irritiert der Gedanke, nur weil man revolutionär ist, „anders zu sein“. Und ja, wir finden es falsch. Bist du ein Alien, oder was?! Sich „anders zu fühlen“, meinen, „radikaler“ zu sein, anders sein wollen, klingt eher nach dem Anfang einer geistigen Versteifung, als dem Anfang einer Umwälzung der globalen Herrschaftsverhältnisse. Und dabei scheint die Idee der Revolution grundsätzlich hinterfragt zu werden.
Wenn du dich tatsächlich als Anarchist*in begreifst, müsstest du dich gegen Avantgardismus und Dogmatismus aussprechen. Doch du schaffst es, neben der regen Pflege der Hegemonie über den Begriff des Anarchismus, die Revolution als solches in Frage zu stellen, und dafür die „persönliche Revolution“ zu propagieren. Agitation, um der Agitation Willen. Darum wird die Debatte, um die es eigentlich gehen sollte, wahrscheinlich nie geführt. Und darum wird dies wohl auch die voraussichtlich letzte Wortmeldung unsererseits zum Thema gewesen sein.
Falls es doch jemanden Interessiert: Zur Frage mit der sozial konstituierten anarchistischen Agitation empfehlen wir das Heftlein „Über einige alte, aber aktuelle Fragen unter Anarchisten und nicht nur“ (in der Anarchistischen Buchhandlung eures Vertrauens oder im Internet erhältlich).
Euer Päfzger