Hauptteil:
-Text und anschliessende Diskussion rund um G20.
– Mit einem Gastbeitrag stellt sich die Redaktion rund um den Päfzger vor. Für Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie ihren persönlichen Päfzger…
Kurznews: Solidaritätsaktion mit den Gefangenen vom G20 in Bern
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Erstmals ein grosses Danke von unserer Seite an die Macher*innen des Info Lora am Freitag, sowohl für die Möglichkeit, bei euch einen Beitrag ausstrahlen zu dürfen als auch euren tollen Blog, der eine inhaltliche Diskussion ermöglicht!
Wir verstehen uns als politische Zeitschrift, was so viel bedeuten soll, als dass uns Kritik und inhaltsorientierte Diskussionen – gerade über politische Themen – sehr am Herzen liegen. So freut es uns, auf unseren Radiobeitrag eine Replik erhalten zu haben. Danke also auch an die Verfasser*innen derselben.
Doch angesichts der Tatsache, dass in der Kritik an unserem Radiobeitrag ungeniert behauptet wird, dass der Päfzger die Direkte Aktion mit Märtyrertum gleichsetzt, sehen wir uns dazu veranlasst einiges klarzustellen:
Zunächst sei gesagt, dass wir im besagtem Text nicht argumentieren, wir erörtern keine Fragestellung. Es handelt sich dabei schlicht um Literatur. Eine Geschichte. Die offensichtlich emotionale Reaktionen hervorruft. Die beissen soll und provozieren will. Wir verstehen Ironie und Provokation als Mittel um Diskussionen auszulösen. Würde die Provokation zum Selbstzweck erhoben, verlierte sie ihr kritisches Potential.
Was wir in unserem Radiobeitrag auf ironische Art und Weise aufgreifen, ist nicht eine Kritik der Direkten Aktion, sondern die Kritik der Romantisierung und Propagierung bestimmter Formen der Praxis innerhalb anarchistischer Kreise. So wird – unserer Meinung nach – viel zu oft die Radikalität einer Aktion ausschließlich am Grad der Zerstörung oder an der angewandten Gewalt gemessen, wobei andere Formen der Praxis belächelt werden. Die isolierten Angriffe, die meist die erhoffte Wirkung nicht erreichen, werden als Stärke aufgefasst und nur die eigenen Aktionen und die Aktionen, die diesen ähneln als revolutionär betrachtet. Das selbstreferenzielle Bild der Anarchist*innen, als vom Rest der Gesellschaft abgesonderten Wesen, die in der Illusion baden, radikal und anders zu sein, entspricht aus unserer Sicht einer Form der Trennung, die mit der Logik des Spektakels einhergeht. Doch Politik ist nicht nur etwas für subversive Gestalten, die Nachts rausgehen um Schaden anzurichten. Politik ist nicht nur etwas für die, die sich als besonders politisch wahrnehmen und selbst darstellen. Anarchistische Politik geht erst, wenn wir alle sie betrieben. Wir denken, dass eine Kritik an den Ideologien bestimmter Leute, auch wenn sie im Knast sitzen, nicht unsolidarisch, sondern geradewegs wichtig ist, denn auch Anarchist*innen können in unreflektierte Praxisrituale verfallen. Wenn solche Dynamiken nicht thematisiert und kritisiert werden, sehen wir uns mehr und mehr mit dem Gespenst anarchistischer Berufsrevolutionär*innen konfrontiert.
Wir, die Redaktion des Päfzgers, wissen nicht, wie die Revolution zu machen ist. Dies zu behaupten wäre dogmatisch, ideologisch verblendet und falsch. Das einzige, was wir von uns als Revolutionäre behaupten können, ist, dass wir aus der Geschichte gelernt haben, wie es eben nicht zu machen ist.
Doch genau dies scheint in den “anarchistischen” Kreisen der heutigen Politlandschaft vergessen. Uns stört, dass die Rolle politischer Agitation pervertiert wiedergegeben und reproduziert wird. Wird gestreikt, interessiert das meist keine Sau, aber kaum brennt ein schönes Auto, kaum wird eine Einkaufspassage entglast, glaubt halb Europa, in Zürich sei die Revolution ausgebrochen. An einem gemeinsamen Kampf scheint kein Interesse zu bestehen, ausser, um gegebenenfalls andere organisierte Kräfte für die eigenen Ziele einsetzen zu können.
Uns ist aufgefallen, dass wir eine andere Auffassung der Direkten Aktion haben, als die Verfasser*in der Kritik. Es ist grundsätzlich etwas anderes, wenn die Direkte Aktion, in Zeiten einer erhöhten und verallgemeinerten sozialen Konfliktualität passiert und von einer breiteren Masse getragen wird, als wenn in Zeiten der sozialrevolutionären Eiszeit einzelne Individuen isolierte Aktionen ausführen. Klar ist es wichtig, auch in diesen Zeiten nicht vom Kampf abzusehen, nicht aufzuhören, auf die Fehlerhaftigkeit eines solch unmenschlichen Wirtschaftssystems aufmerksam zu machen, diese anzuklagen und anzugreifen. Es geht aber darum, neue Wege zu gehen, den Kampf neu zu denken und nicht in ritualisierte Handlungsmuster zu verfallen. Genau so, wie es viele Kämpfende immer wieder gerne betonen. Doch genau das tun ebendiese kaum. Die Reflexion bleibt aus. Diskussionen darüber, wie richtig und angebracht verschiedene Praxen sind, gibt’s nicht, oder finden ausschliesslich im schon vorselektierten, konspirativen Zirkel statt.
Wir verstehen die ideologische Trennung zwischen Wort und Tat nicht, welche – in unserer Auffassung – eine symbiotische Beziehung bilden sollte, in welcher das eine nicht ohne das andere auskommen kann. Wir hierarchisieren nicht die verschiedenen Formen der Praxis.
Zuletzt noch dies: Das Leben im Kapitalismus ist kein Ponyhof, aber wir reiten trotzdem mit. Und somit ist auch der Knastaufenthalt als solches nicht besonders witzig. Doch genau darum geht es uns. Anhand der Mittel von Satire, Ironie, Imitationen, gepaart mit gezielten, ausgearbeiteten Kritiken den klitzekleinen Funken gemeinsamer Empathie, welche die politischen Agitator*innen der sozialrevolutionären Szene noch in sich tragen anzufachen, die Diskussion zu provozieren. Dass vielen in ihrer Tunnelblick-ähnlichen Agitationsweise vom Angriff des Staates das Lachen vergangen ist, ist uns bewusst. Und das ist schlecht so. Denn was eint uns im Kampf gegen den Kapitalismus, gegen den Staat des Kapitals, ausser, dass wir alle ihn zutiefst hassen und unsere kollektive Ohnmacht ihm gegenüber begreifen? Was bringt es, im vollen Ernst Tag für Tag in die Verbitterung der Polit-Psychose abzudriften, wenn wir nicht einmal über unser Handeln reflektieren, über unsere Fehler lachen, die hundert Jahre alte Kritik begreifen können?
Wir hoffen, mit dieser Päfzger-Schelle ein weiteres Mal für Aufsehen und Einsichten gesorgt zu haben und warten gespannt auf eine inhaltliche Auseinandersetzung in der anarchistischen Szene zum Spannungsfeld “Theorie und Praxis” und grüssen alle Gefangenen, alle Kämpfenden innerhalb der gekünstelten Freiheit des Marktes, alle Arbeitslosen, alle Sans-Papiers, alle Depressiven, alle Faulenzer*innen, alle Junkies, allealleinerziehenden Mütter und Väter und alle, die sich auf der Flucht vor den Klauen des Staates befinden!
Eure Päfzger Redaktion
Kritik an der Päfzger vorstellung:
Werte anarchistische info-lora Redaktion,
Zunächst möchte ich mich für die Zeit und Energie, die ihr in
dieses wöchentliche Radio-Projekt investiert, herzlich bedanken.
Dass ein anarchistisches Agitations-Projekt mit einer solchen
Regelmässigkeit erscheint und über längere Zeit existiert, ist
nicht selbstverständlich. Zudem ist eine merkliche Entwicklung der
jeweiligen Sendungen fest zu stellen: ihr behandelt und vertieft
Schwerpunktthemen über mehrere Sendungen verteilt; ihr arbeitet
vermehrt mit dem „journalistischen“ Werkzeug des Interviews, was
dem Ganzen eine weitere Ebene verleiht und die Sendungen lebendiger
werden lässt; und ihr bezieht vermehrt andere (lokale) aktuelle
Projekte mit ein, was hilft, den hiesigen Kontext und die darin
stattfindenden Debatten besser zu illustrieren. Alles Sachen, die mir
sehr gefallen! Hier eine Sache, die mir nicht so gut gefallen hat,
oder eher, die mich verdammt in Rage versetzt hat und ich mich dazu
veranlasst fühlte, euch meine Wut mitzuteilen. In eurer Sendung vom
01. September 2017 habt ihr als ANARCHISTISCHES Radio ernsthaft einen
Gastbeitrag ausgestrahlt, der sich auf Min. 49:50 in aller
Deutlichkeit über Anarchisten in Gefangenschaft lustig macht.
Natürlich ist mir klar, dass der Gastbeitrag, also auch dieser
klitzekleine Textausschnitt auf besagter Minutenzahl, vom Päfzger
stammt, von einer Zeitung also, die Agitation, Polemik, Kunst,
Anti-Kunst, beliebiges Rumgeiere und sehr gezielte Kritik miteinander
zu vereinen sucht. Und natürlich ist mir klar, dass dieser
Textausschnitt sich nicht direkt
über anarchistische Gefangene lustig macht, sondern in päfzgischer
Manier eine „erfundene“ Geschichte erzählt wird. Eine
Geschichte, in welcher dem Protagonisten «das grosse Glück zu
kommt, als Märtyrer des anarchistischen Aufstands einzugehen», weil
er nun in einer Zelle «einer kleinen langweiligen Stadt in
Mitteleuropa» eingesperrt ist. Eine Geschichte, in welcher er sich
auch im Knast noch immer in seinem geistigen Elfenbeinturm befindet,
weil er «weiter aus der Zelle in die Welt schreibt, ohne irgendetwas
gelernt, auf irgendwelche Kritiken eingegangen oder jemals geistig
irgendwie weitergekommen zu sein». Und zu guter Letzt, eine
Geschichte, in welcher er «mental so festgefahren ist, dass auch die
Hilfe von Professionellen nichts mehr bringt».
Ganz egal, ob diese Geschichte frei
erfunden, oder aus der Realität abgekupfert ist: eine solche
päfzgische Schelle (mit dem konservativen Bürgi-Argument direkte
Aktion = Märtyrertum) gegenüber Anarchisten, die neben dem Wort
eben auch zur Tat gegen die Herrschaft schreiten, immer auf der Suche
nach Kohärenz und weder dem blinden Aktionismus noch dem
Hinterzimmer-Schreiberling verfallen wollen, und damit riskieren, in
den Knast zu wandern (und sogar dort noch die Kraft aufbringen, mit
den ihnen zu Verfügung stehenden Mitteln weiter zu kämpfen), ist
zutiefst unsolidarisch und diskreditierend
und entbehrt sich jeglichen
anarchistischen Fundamenten. Tut mir leid, aber der Kampf für die
Freiheit im echten Leben ist leider nur selten lustig, und schon gar
nicht, wenn man sich im Knast befindet. Ich hoffe, euch mit diesem
Schreiben zu einer Reflexion motiviert zu haben.